Esther Niebel: Was verbirgt sich hinter dem Ausstellungstitel?

Oliver Czarnetta: Der Titel folgt einer entwicklungsgeschichtlichen Einteilung des belgischen Philosophen Jean Gebser. Er behauptet, dass die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins in fünf Stufen vonstattengegangen sei, die jedoch auch heute in jedem von uns aktuell sind. Auf die archaische folge die magische und die mythische Struktur; diese wird laut Gebser von der recht wissenschaftlich geprägten -heute dominierenden- mentalen Struktur abgelöst und diese wiederum von dem sich zurzeit vielleicht und hoffentlich durchsetzenden integralen Bewusstsein. Diese Entwicklung durchläuft sowohl der Einzelne in seinem Leben als auch die gesamte Menschheit. Der Dritte Mensch schaut drückt sich vornehmlich bildhaft in Mythen und Symbolen aus, da steckt zwar System dahinter aber keine streng wissenschaftliche Systematik.

Esther Niebel: In welcher Beziehung steht Deine Kunst zu dem Dritten Menschen?

Ich halte mich in meinem Arbeiten gerne zwischen Wissenschaft und Mythos auf. Der mythisch forschende Blick findet sich in vielen meiner Werkstücke wieder.

Oliver Czarnetta

Oliver Czarnetta: Dies weil ich meine, dass zum Beispiel Analogien oder Bilder die Welt oft präziser als wissenschaftliche Worte oder Diagramme beschreiben, indem sie die Schärfe des Wortes umgehen und u.a. Verhältnismäßigkeiten gleichzeitig darstellen können – wie gemacht, um ein Kunstwerk dicht, vielfältig bedeutungsträchtig zu gestalten. Die frühe Wissenschaft dagegen ist der Welt mit ihrer Kategorisierungswut nicht gerecht geworden, darunter leiden wir bis heute. Ich arbeite gerne mit starken Symbolen und Sehgewohnheiten, Kunstgeschichte und Leben bieten davon mehr als zu bewältigen. Ich beziehe mich in meinen Arbeiten sowohl auf archaische (...Haus im Haus im Haus...) als auch auf sehr aktuelle Symbole (Safer World).

Du arbeitest in DER DRITTE MENSCH neben den eigentlichen Werken mit einer Licht und Soundinstallation sowie mit Fremdexponaten. Wieso hast Du Dich für eine Präsentationsform entschieden, die an eine Wunderkammer erinnert?

Weil in der Zeit der Entstehung von Kuriositätenkabinetten und frühen Museen ein Übergang vom mythischem zum wissenschaftlich-objektiven stattfand, da fühle ich mich wohl. Der früh, beziehungsweise scheinwissenschaftliche Einschlag erlaubt es, Ausstellungsobjekte verschiedenster Art miteinander zu vereinen. Er verleiht sowohl meinen Arbeiten als auch den ausgestellten, teils naturwissenschaftlichen Objekten weitere Bedeutungsebenen und aktiviert den Betrachter daher in mehrerlei Sinne – im Gegensatz zum sterilen Ausstellungskontext zum Beispiel eines 'White Cube'. Ich möchte ja so tun, als ob ich die Welt erklären könnte, da muss das Ambiente stimmen! 

Auf den ersten Blick scheinen Deine Werke allein schon durch die je eigene Materialität und Technik sehr unterschiedlich. Was ist die gemeinsame Idee, was verbindet Dein Werk?

Ich hoffe, das verbindende Element ist, meine Art die Welt zu sehen und meine Idee, wie ein Kunstwerk beschaffen sein soll."

Oliver Czarnetta

Jedes Material und jede Technik hat eine spezifische Wertigkeit, die es mit Inhalten auf vielen Ebenen zu verbinden gilt. Ich benutze oft fließende Materialien und gestalte gerne Hohlräume, das heißt, ich beschäftige mich gerne mit Gussverfahren. Ich arbeite stets an mehreren Sachen gleichzeitig, manchmal mit Konzeptfragmenten, oft spontan. Ich schätze, ich bin ein Bricoleur.

Ich spreche von Dir immer als dem Philosophen-Künstler. Deine Antworten sagen sehr viel und lassen doch viel offen. Kannst Du an einem konkreten Objekt Deinen Anspruch an ein schönes, gutes und wahres Kunstwerk darlegen?

Philosophie ist toll, sie hilft, ständig zu hinterfragen und dabei zu akzeptieren, dass es keine schlussendliche Antwort gibt. Aber Philosophie als Wissenschaft ist recht rational, und Kunst wird nicht erdacht, sondern erfahren. Die Philosophie kann also nur anteilig und verwoben in der Kunst stecken.

An den Guckkästen aus der Serie Single Interieur kann man das veranschaulichen: die Sehgewohnheit der archaischen Maske, verbunden mit einem heute allerweltlichen Material (Beton), im Zusammenspiel mit Spiegeln als Symbol der Reflexion, eröffnen den Blick  in die eigenen Körperöffnungen.

"Ein Instrument der vermeintlich geringsten Stufe der Selbstwahrnehmung."

Oliver Czarnetta

So schieße ich leise mit Kanonen auf Spatzen. Das birgt Überraschungen und neue Sichtweisen. So verbinden sich viele mögliche Bedeutungsebenen, wodurch man viel erfahren kann. 

"Der Betrachter kommt dem Kunstwerk sehr nahe und wird zeitweise zum Bestandteil desselben."

Oliver Czarnetta