Von der Idee zum Bild

Benedikt Braun im Interview mit Esther Niebel

Esther Niebel: Deine letzte Ausstellung „Actus Coitus - P(r)ost Kapitalist„ kreiste um die Themenschwerpunkte Geld, Wirtschaftskreisläufe, Kapitalismus als System und darum, was das System mit dem Menschen macht bzw. welche menschlichen Eigenschaften das kapitalistische System zu dem in unserer heutigen Zeit naheliegendsten machen. Die jetzige Ausstellung heißt BUM BUM BENE. Die erste Assoziation des Titels führt zu Boris Becker, dessen Spitzname zu Zeiten seiner aktiven Karriere Bum-Bum-Boris war. Was hast du mit Boris zu tun?

Benedikt Braun: Alliterationen finde ich echt gut.Boris Becker und Benedikt Braun. Zumal ich vor der Hochzeit meiner Eltern noch ein paar Monate den Familiennamen meiner Mutter tragen durfte. Benedikt Beck. Auch schön! Abgesehen davon ist ein zentraler Teil des Tennissportes der sich in der Luft befindende Ball. Auch bei meiner Ausstellung sind fliegende, sich rasch bewegende Objekte wichtig.

Ausstellungsansicht, BUM BUM BENE, The Grass is Greener, 2020

Alle Exponate der Ausstellung haben etwas mit Schießen zu tun, allerdings schießen aus Spaß. Es gibt eine Schießbude und man kann mit Tontauben auf ein Stahlblech feuern. Was macht den Rummelspaß zu Kunst?

Bei „Actus Coitus - P(r)ost Kapitalist“ habe ich als Künstler einen fiktiven Zeitsprung gemacht und meine Arbeiten nach der Überwindung des Kapitalismus angesiedelt. Ein Blick zurück sozusagen auf das historisch gewordene, archivierte kapitalistische Zeitalter. Bei der aktuellen Ausstellung bleibe ich vor dieser Zeit, praktisch im heute. Ich bin noch in der Spaßgesellschaft,die jedoch die kommenden Umwälzungen und Ungemütlichkeiten bereits auf sich zukommen spürt. Der Druck wächst. Und Ventile werden gesucht.

In der Schießbude kann man auch auf Abbildungen deiner Person schießen. Warum bietest du dich selbst als Zielscheibe an?

Hierzu eine kleine Anekdote. Den allerersten Prototyp dieser Schießbuden-Arbeit habe ich in einer regionalen Kunstmesse in Erfurt gezeigt. Hier war meine Vorstellung, in den Gängen der Messe Menschen zu sehen, die auf Kunst schießen, treibender Gedanke. Man konnte auf unterschiedliche Postkarten-Motive schießen. Auf mich als fetten, nackten, Künstler auf einem Sessel sitzend. Und eine Version von mir als dicker Frau im Deutschland-Bikini. Nach dem die Messe für die Presse geöffnet war, hörte ich in einem Radio-Beitrag, daß bei mir auf dem Stand auf Schwangere geschossen werde und dass das ja nicht so toll sei. Am nächsten Tag sind dann mehrere Hörer*innen dieses Beitrags zu mir, sehr empört und energisch, an den Stand gekommen, um Wut und Frust abzulassen. Ich glaube sie haben sich danach besser gefühlt.

Shooting Star, 300 x 260 x 260 cm, Schießbude (Unikat), 2018/2019

Das eigentliche Schießen hat immer mit Gewalt und auch Macht zu tun. Spielst du mit diesen Assoziationen?

Ja, insbesondere bei der Installation Nightshot versuche ich zum einen die oben erwähnte Ungemütlichkeit, die Aggression und Gewalt in der Welt modellhaft darzustellen und auf der anderen Seite Abhilfe zu schaffen und eine Art von Ventil, eine Möglichkeit des Druck-Ablassens und der kurzzeitigen Entspannung zu bieten. Allerdings wird diese Entspannung sogleich wieder hinterfragen. Über das sanfte antippen des Fußschalters außerhalb der Absperrung bricht in der Installation das Chaos und die Zerstörung aus. Während nicht wenigen der Impulsgeber*innen lächeln und ein Gefühl der satten Befriedigung erfahren. Erschreckenderweise kann Zerstörung sehr viel Spaß machen. Dieses ambivalente Verhältnis, beziehungsweise die zwei Seiten einer Medaille und das Spiel mit dem Standpunkt und der Invertierung sowohl bei Nightshot als auch bei den anderen Arbeiten entzücken mich. Während bei Nightshot nur ins abstrakte „Nichts“ geschossen wird, biete ich dem Ausstellungsbesucher, neben anderen Zielen, bei Shooting Star eben auch mich als Zielscheibe an. Wird nicht subtil das schießen auf Menschen geübt? Lassen sich die Arbeiten womöglich auch als seichte zum nicht Erfolg verurteilte revolutionäre Übungen interpretieren. Auf geht’s! Mit Plastikkügelchen und Tonscheiben gegen wen und was auch immer. Attacke!

UFK, Ultra freie Kunst, ist dein Motto. Widersprechen sich der Gedanke der Freiheit und der der Ausübung von Macht in Form von Gewalt nicht?

Richtig gelebte Freiheit ist wenn man im Sommerurlaub nicht in den Pool oder ins Meer hüpft sondern im Hotelzimmer bleibt und sich Serien anschaut die man ebenso gut daheim hätte schauen können. Das nicht wahrnehmen von Möglichkeiten ist Freiheit. Insofern hat Freiheit wohl auch was mit Dummheit zu tun. Juhu. Der oder die wahren Mächtigen sind jene, welche auf die Ausübung von Gewalt verzichten. So dumm hört sich das jetzt gar nicht mehr an. :-) Natürlich ist es komplexer. Versteht man die Existenz und Umsetzung von Gesetzen und Regeln und die Bestrafung beim brechen derselben als Gewalt, stehen sie insbesondere im Gegensatz zur individuellen Freiheit, wenn das Ausleben der Freiheit das brechen der, Regeln bedingt. So scheint es in der „echten“ Welt zu sein. Ich bezeichne mich aber explizit als UFK ultra freier Künstler. Und hier gelten die Regeln nicht. In der Kunst, auf der Bühne, in Romanen, im Spiel, in der künstlichen Welt, in der Vorstellung bist du immer frei.

no eggs, 42 x 43 cm, Schokoschaumkuss, Glasrahmen, Edelstahlklemmen, Serie 5 + 1, 2017, Ausstellungsansicht

Was haben die zerquetschten Mohrenköpfe mit dem Ausstellungskonzept zu tun?

Ich liebe diese formal klaren grafischen Arbeiten mit ihren spröden Titel: „ No Egg“. Ein zwischen zwei Glasscheiben zerquetschter Schoko-Schaum-Kuss erinnert mich nicht nur an eine Zielscheibe sondern auch an ein Spiegelei. Und die in einigen Regionen noch als Negerkuss oder Mohrenköpfe bezeichneten Schaumküsse besteht aus gezuckertem Eiweißschaum. HAHA. Schwarzer Humor... an den Grenzen des guten Geschmacks. Schwarze an Grenzen? Da war doch was. Noch ne Prise Migrationsdruck – voilà! Passt doch wunderbar ins Ausstellungskonzept.