von der Idee zum Bild: CONSTRUCTION

Benjamin Sabatier im Interview mit Esther Niebel

Esther Niebel: Construction ist ein Dialog zwischen Bildern der Opernserie von Jörg Ernert und deinen Skulpturen. Die Schnittstelle, die auch der Titel der Ausstellung reflektiert, ist das Bauen, das Provisorische beziehungsweise Unfertige. Welchen Stellenwert hat das Prozessuale in deiner Arbeit?

Benjamin Sabatier: Meine Arbeit beginnt immer damit, die Materialbeschaffenheit aufzudecken und wie ich diese Eigenschaft herausarbeiten und transformieren kann. Dabei experimentiere ich im Sinne des amerikanischen Philosophen John Dewey: Ohne genau zu wissen, wohin die Reise geht, entdecke ich das Werk, indem ich es erschaffe – durch die Praxis. Dadurch verwandelt sich die Materie: Schweres wird leicht, Festes wird fragil. Mein Umgang mit dem Material wird an der Oberfläche der Arbeiten offensichtlich und zeigt sich manchmal radikal oder auch „brutal“ durch Verbindungen, Wiederholungen und Verdichtungen. Ungeachtet der Metamorphosen bleiben meine Gesten und die Materialien immer sehr präsent und sichtbar. Diese extreme Lesbarkeit des Arbeitsprozesses, also das Aufgreifen von rohen und leicht verfügbaren Materialien – Ziegelstein, Nagel, Holz, Zementsack, Karton, Klebeband, etc. – grenzt sich von der heroischen Geste des „genialen Schöpfers“ zugunsten einer Baustellenästhetik ab, die die Reproduktion des Kunstwerks durch jeden Einzelnen möglich und zugänglich macht.

Ungeachtet der Metamorphosen bleiben meine Gesten und die Materialien immer sehr präsent und sichtbar.

Benjamin Sabatier
Jörg Ernert und Benjamin Sabatier, Ausstellungsansicht, The Grass is Greener, Leipzig, 2019

Relativ neu als Arbeitsmaterial ist verbranntes Holz in deinem Werk aufgetaucht. Die Schwärze des Holzes steht in starkem Kontrast zu dem hellen Grau des Betons. Aber vor allem betont das verbrannte Holz das Archaische deiner Plastiken und gibt ihnen zusätzlich etwas Tragisches, etwas Brutales. Ist es für dich eine ästhetische oder eine inhaltli- che Entscheidung verbranntes Holz als Werkstoff zu verwenden?

Das verbrannte Holz ist zufällig in meiner Arbeit aufgetaucht. Ich arbeitete gerade an Skulpturen aus Holz und Beton für den Außenraum und suchte einen Weg das Holz haltbar zu machen. Die Technik von gebranntem und geöltem Holz erlaubt genau das: das Holz unverottbar zu machen und dadurch das Material über eine lange Zeit hinweg zu schützen. Von dem Zeitpunkt an hat mich das Material des mattschwarzen verbrannten Holzes interessiert. Deutlich grafischer und physisch präsenter als die Farbe von Naturholz, verwandelt es unsere Sicht auf Holz und macht es leichter. Es stellt eine Beziehung zu Holzkohle her...Es ist also eine Transformation des Materials durch eine extrem starke Geste. Bei einigen Skulpturen (wie dem schwarzen Kreuz) kann man feststellen, dass ein Spiel zwischen Holz und Beton entsteht. Die Holzverbrennungen prägen sich in das Betonmaterial ein, wodurch eine starke Bindung zwischen den beiden entsteht... wie ein Gefälle. Meine Arbeit spielt mit dieser Wechselwirkung von Materialien und Gesten.

Jörg Ernert und Benjamin Sabatier, Ausstellungsansicht, The Grass is Greener, Leipzig, 2019

Wie schaffst du es, dass die Oberfläche des verbrannten Holzes so intakt bleibt und anscheinend das Holz nur die Farbe, nicht jedoch die Zerstörung durch das das Feuer annimmt?

Die Technik, das Holz zu verbrennen, ermöglicht es, Holz langfristig zu erhalten. Die Oberfläche wird kalziniert, dann mehrmals gebürstet... Schließlich wird das Ganze gründlich geölt, so dass das Holz vollständig durchtränkt wird. Man findet diese Technik in der einheimischen Architektur, insbesondere allerdings in Japan. Ich entdecke gerne Wege der Herstellung von Kunsthandwerk, das ich dann aus künstlerischer Sicht neu adaptiere. Darüber hinaus ist die Dimension der Konstruktion, der Baustelle und des Selbsterlernens für mich sehr präsent. Ich mag es, mich mit dem Material auseinanderzusetzen, dessen Eigenschaften und Möglichkeiten zu entdecken, aber immer zum Nutzen eines Gedankens der menschlichen Arbeit. In den 80er Jahren kauften meine Eltern einen verlassenen Bauernhof in der Auvergne in Frankreich. Ich habe mit meinen Brüdern die Ferienzeit dort verbracht, um ihn zu renovieren. Nach mehr als zehn Jahren wurden wir zu improvisierten Schreinern, Dachdeckern, Maurern, Tischlern ... Meine Eltern sahen für uns in diesen Aktivitäten eine Ausbildung und eine persönlichen Verwirklichung. Durch den Erwerb von praktischem Wissen haben wir eine Art Autonomie und Unabhängigkeit gewonnen. Es war ein Weg, durch Handeln zu lernen, indem wir mit Situationen konfrontiert wurden, die es uns ermöglichten, aus den praktischen und theoretischen Anforderungen zu lernen, die wir in der Praxis entdecken. Deshalb sehe ich die künstlerische Schöpfung als das untrennbare Zusammentreffen von Tun und Denken. Die wiederkehrende Verwendung von Materialien und Werkzeugen aus dem Häuserbau in meiner Arbeit bezieht sich auf diese persönliche Geschichte und das, was man „Selbstkonstruktion“ nennt, welche sich in der Bereitschaft des Einzelnen manifestiert, sich seine eigenen Gesten wiederanzueignen, aus dem Wunsch nach Autonomie.

Nur der Blick auf die Skulptur erlaubt eine Interpretation, der Titel braucht sie nicht mehr.

Benjamin Sabatier
o. T., 178 x 114 x 89 cm, Beton, verbranntes Holz, 2018

Kitzelt dieses Paradox zusätzlich das Auge? Spielst du damit?

Ja und nein, ich wollte anhand dieser Skulpturen mehrere Zustände des Materials Beton zeigen. Auf der einen Seite glatt und mit Herstellungsspuren und andererseits roh, wie es ist. Als wäre es gerade im Herstellungsprozess. Beton ist ein Werkstoff, den ich besonders mag. Zum einen wegen seiner wandlungsfähigen Formbarkeit und Struktur (er wandelt sich von flüssig zu fest) und andererseits wegen seines Baustellencharakters. Die Baustelle ist ein Bild der Bewerkstelligung, des „work in progress“, der Formwerdung.

o. T., 94 x 94 x 9 cm, verbranntes Holz, Beton, 2017

Gibt es einen Grund, dass in dieser Ausstellung alle Werke „Ohne Titel“ sind?

Es ist ziemlich neu in meiner Arbeit. Ich denke, dass der Entzug des Titels mehr Raum für die Materialität und deren Formen lässt. Nur der Blick auf die Skulptur erlaubt eine Interpretation, der Titel braucht sie nicht mehr.